Die eigentlichen Stars der Zugvogelmusik 2019 sind die hier:

Die Lachmöwe 

Lachmöwen, übrigens die häufigste Möwenart im Binnenland, lachen ungefähr so viel wie Kichererbsen kichern. Ihr Name bezieht sich auf ihren spöttisch-lachend klingenden Ruf und nicht auf ihren Humor, den sie aber natürlich trotzdem haben. Und einen sehr ausgesuchten Musikgeschmack. Diese Kombi hat vermutlich dazu geführt, dass die lebhafte niederländische Band Rapalje schon lange in den Lachmöwen-Top-Ten ganz vorn liegt. Lachmöwen sind keine kleinen Vögel, aber kleine Möwen. Sie werden fast 40 cm hoch, und wenn sie ihre Flügel ausklappen, sind es einmal quer rüber bis zu 99 cm Spannweite. Diese auffälligen Vögel, deren Sommergefieder sich durch eine sogenannte schwarze Kapuze und eine weiße Augenklammer auszeichnet, reisen von Island über Irland bis nach Nordafrika, wo sie überwintern. Viele bleiben aber auch im nördlichen Mitteleuropa, wo sie Wattorganismen, kleine Fische, Regenwürmer, Insekten, Müll und Essensreste futtern. Je nachdem organisieren sie sich das alles im flachen Suchflug, im Rüttel- oder im Sturzflug. Auch ist Trampeln in Seichtwasser oder Schlamm eine erfolgreich erprobte Methode der Lachmöwe, sich den Wanst vollzuschlagen. Fliegende Insekten schnappt sie natürlich in der Luft, wo die besonders sportlichen Vertreter anderen Vögeln Nahrung direkt aus dem Schnabel abjagen. Auch verfolgen sie Trecker auf dem Feld, um freigelegte oder zu neugierige Regenwürmer zu erwischen. Beziehungsmäßig sind Lachmöwen monogam, zumindest für die Saison. Wenn es gut läuft, geht die Liebelei im Folgejahr gern auch in eine weitere Runde. So oder so, es landen jeweils 3 bis 4 Eier im Nest, die 22 bis 28 Tage lang ausgebrütet werden, und zwar von beiden Elternteilen. Weitere 26 bis 28 Tage später werden unsere Lachmöwenkinder flügge, und mit 35 Tagen sind sie selbstständig. Die Familienphase findet in nicht zu dicht besiedelten Kolonien statt, in denen 10 bis 10.000 Paare wohnen, die sich mehr oder weniger gleichzeitig vermehren.

Der Gastvogelbestand im niedersächsischen Wattenmeer beträgt etwa 200.000 Vögel, der Brutbestand davon macht etwa 36.000 Vögel aus. Durch den Klimawandel, haben britische Forscher vorhergesagt, wird auch das Verbreitungsgebiet der Lachmöwen deutlich schrumpfen und keinen Lebensraum mehr bieten. Damit trifft es diese Vögel besonders hart.

Als Zugvögel reisen die Lachmöwen zum Überwintern vom europäischen Norden nach Afrika. Auf ihrer Route liegen auch die Niederlande, und dort haben sie dann auch Rapalje kennen- und lieben gelernt.

Der Große Brachvogel 

„Kuri li“ – so macht dieser Vogel. Es klingt wehmütig und melodisch, und vielleicht wurde aus dem „Kuri li“ deshalb auch der Name Curlew in England. Dort und auch in Irland ist dieser Vogel zum Teil auch ein Standvogel, das heißt, er wohnt dort dauerhaft. Die meisten Großen Brachvögel sind aber überzeugte Mittelstreckenflieger und verbringen den Winter gern an den west- und südeuropäischen Küsten. Sonst leben sie in Nordeuropa, bei uns an der Küste und im Watt und in den feuchten Niederungen von Weser-Ems. Diese Vögel mit ihrem sehr langen, nach unten gebogenen Schnabel gehören zu den Schnepfenvögeln. Auch ihr Bestand hat drastisch abgenommen, und auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands von 2015 sind sie in der Kategorie 1 geführt und damit vom Aussterben bedroht.

Während Menschen ja nicht im Essen herumstochern sollen, ist das bei den Großen Brachvögeln eine beliebte Vorgehensweise, um überhaupt was zu futtern. Ihr langer Schnabel ist für diese Methode superpraktisch, und wie mit einer Pinzette können sie damit Schnecken und Muscheln sehr manierlich aus ihren Schalen ziehen. In Süßwasserhabitaten machen sie sich mit Begeisterung über Schnaken her, im Watt über Strandkrabben, die sie kräftig durchschütteln und auf den Boden werfen, damit die Gliedmaßen abfallen. Wenn es sein muss, sprintet der Große Brachvogel seiner Beute auch mal geschwind hinterher. Auf den britischen Inseln fühlen sich diese Vögel sehr wohl, und der Brexit ist ihnen herzlich egal, da Zugvögel ja weder Devisen noch ein Visum brauchen. An Großbritannien mögen sie, dass Musik dort immer und überall eine so große Rolle spielt. Und so wundert es nicht, dass in den Top Ten der Großen Brachvögel Robert Lee Fardoe auf Platz eins landet, gefolgt von Lisa Stansfield (All Around the World) und Silver Convention (Fly Robin fly).

Die Küstenseeschwalbe 

Wenn grade flügge gewordene Küstenseeschwalbenkinder das Nest verlassen und ihr Around-the-World-Ticket auf Lebenszeit kaufen, dann buchen sie dreimal zum Mond hin und zurück. Eine CO2-Kompensation für diese enormen Langstrecken ist nicht nötig, denn wie alle Zugvögel sind auch diese hier extrem umweltfreundlich und nachhaltig unterwegs, mit Muskelkraft und natürlich ein bisschen Fisch im Bauch. Jedenfalls ist das mit der enormen Flugkilometerzahl kein Scherz, denn Küstenseeschwalben reisen zwischen den Polen, und zwar nicht von Krakau nach Warschau, sondern von Nord- zu Südpol und retour. Bei uns kommen sie an der Nordseeküste vor, auf den Ostfriesischen Inseln und auf Scharhörn. Auf dem Weg von A nach B stehen bei einem 30jährigen Vertreter schnell 30.000 Kilometer auf dem Tacho. Arktische Brutvögel legen auf dem Zug etwa 60.000 Kilometer zurück, können aber nachweislich weiter – einer wurde mal per Sender verfolgt und schaffte 96.000 km – Ölwechsel unterwegs mit Omega-3-Säuren aus frischem Fisch! Die Küstenseeschwalben kommen also weiter herum als mancher Airline-Goldkarteninhaber, und auf ihrem Weg streifen sie auch den Kongo. Hier haben sie die Musik von Wakassa für sich entdeckt, deren unglaubliche Beats sind auch ein super Rhythmusgeber für die langen Flüge. Übrigens sind Küstenseeschwalben nicht nur hervorragende Ausdauersportler, sondern auch sehr schnell und wendig. Wenn sie nach minutiöser Beobachtung der Wasseroberfläche etwas Leckeres entdecken, kippen sie mit halbgeschlossenen Flügeln ab und stoßen steil senkrecht nach unten, und zwar ins Wasser, mit Untertauchen. Danach geht’s wieder an die Oberfläche und weiter. Übrigens kennt die Küstenseeschwalbe kein Pardon, wenn sie brütet. Niemals stören, da sie sehr aggressiv und bis aufs Blut verteidigt!

Der Sanderling 

20 bis 22 cm Körperlänge, Flügelspannweite das Doppelte, Körpergewicht 45 bis 65 Gramm, so viel wie ein Twix. Damit ist der Sanderling ein kleiner Vogel, der aber auch weit herumkommt. Seine Brutgebiete kann man abstecken, indem man einen großen Zirkel in den Nordpol steckt und dann leicht schräg einen Kreis zieht vom ganz nördlichen Kanada über Island, Russland und zurück. Sanderlinge überwintern in den sogenannten gemäßigten Breiten, fliegen zum Teil auch Langstrecke nach Südafrika, Südamerika oder Australien. Wir haben Sanderlinge befragt, wo sie es auch musikalisch am Interessantesten fanden. Sofort kam einhellig die Antwort: Kamerun! Dort haben sie Njamy Sitson getroffen, einen Zugvogel, der allerdings heute mehr oder weniger ein Standvogel in Augsburg ist, aber immer viel auf Achse. Seine Musik hat es den Sanderlingen angetan, sie mögen gute Stimmen und auch die Vielfalt an Instrumenten, die Njamy spielt, und damit stand fest, dass er auch bei der Zugvogelmusik 2019 mit dabei ist. Inspiriert von diesen Instrumenten haben einige Sanderlinge auch schon mal ganz kleine Fußrasseln getragen, das erwies sich bei ihrer Art von Essen fassen aber als ziemlich unpraktisch. Sie laufen in einem Laufschritt am Spülsaum auf und ab, und picken aufgewirbelte Krebse und Würmer. Die Fußrasseln nerven dabei nur und konnten sich nicht durchsetzen. Sanderlinge könnt ihr vor allem im Winterhalbjahr im niederländischen und deutschen Wattenmeer beobachten.

Die Zwergseeschwalbe 

Klein ist sie, und leider auch ihr Bestand. Im Wattenmeer -– man kennt sich – leben laut Wikipedia aktuell noch 650 Paare, Tendenz: abnehmend, und damit sind sie in Mitteleuropa die seltenste Seeschwalbe und in Kategorie 1 auf der Roten Liste. Das heißt: Dieser Vogel ist vom Aussterben bedroht, wie viele andere auch. Mit 20 Zentimetern Länge und 45 Gramm Gewicht ist die Zwergseeschwalbe tatsächlich sehr klein, weshalb sie wohl auch so heißt. Sie ist extrem romantisch, aber auch verwegen, weshalb sie auch zum ganz harten Fanblock der portugiesischen Musik gehört. Saudade, das Meer, die Sehnsucht, die Liebe, ihr wisst schon. Kein Wunder, dass ihr bei den Liedern von António de Brito das Herz aufgeht, egal, ob es traurige Balladen sind oder kampfeslustige Revolutionsgassenhauer.

Die Ohrenlerche 

Obwohl diese Singvögel in ihrer Freizeit kaum etwas lieber machen als selber zwitschern bzw. Musik kören, kommt der Name Ohrenlerche nicht von echten Hörorganen, sondern von den seitlichen schwarzen Kopffedern, die eine Ohrenlerche aufstellen kann, und das sieht halt aus wie Ohren. Im Englischen ist das noch keinem aufgefallen, dort heißt sie Shorelark. Die Ohrenlerche ist zu Fuß genauso wendig wie in der Luft. Wenn sie brütet, finden wir sie vor allem in den Tundren Eurasiens und Nordamerikas sowie in Gebirgen und Steppen Südosteuropas, Asiens, Nordamerikas und Nordwest-Afrikas. Von genau dort hat sie auch gleich zwei Musikwünsche mitgebracht: Leo Deleste und Ali Kone und seine Brüda (Abdramane, Chaka, Kassim, Joel, Moussa und Fofana), allesamt aus der Republik Côte d’Ivoire bzw. inzwischen aus Ostfriesland und Oldenburg. Im Winter treibt sich die Ohrenlerche in Europa um, und zwar am allerliebsten bei uns in unserem großartigen und gastfreundlichen Wattenmeer. Dabei ist sie nicht sonderlich auf neue Abenteuer aus sondern überwintert wie deutsche Rentner in Alicante am liebsten jedes Jahr am gleichen Ort und in kleinen Trupps. Sie ist unter unseren diesjährigen Zugvögeln der kleinste Vogel, grade mal so lang wie ein Geodreieck, und was das Brüten angeht auch der zackigste, denn schon nach 10 bis 14 Tagen sind die 4 Eier im Nest vom Weibchen fertig ausgebrütet und die Ohrenlerchenkinder nach weiteren 9 bis 12 Tagen flügge. Gegessen wird kleinteilig: Insekten, Sämereien, aber auch Queller oder so bemerkenswerte Delikatessen wie Arthropoden (Gliederfüßer), oder Fuchsschwanzgewächse wie Strandsoden oder Melden.

Die Trauerente 

Trauer trägt sie keine, wohl aber die Erpel dieser Gänsevogelart ein schickes schwarzes Hochglanzgefieder, das 1758, als die Welt noch ernster war als heute, den Forscher Linnaeus zu diesem Namen inspirierte. Vielleicht war er einfach auch nur unglücklich verliebt, aber wer weiß – für die Lateiner ist der Name selbsterklärend: Melanitta Nigra, die schwarze Meerente. Egal! Ein großer schwerer Vogel, der locker bis 1,4 Kilo auf die Waage bringt, und mitunter 54 cm lang wird. Flügelspannweite bis zu 90 cm. Das ist ordentlich. Hier noch was für Ingenieure: Weil die Männchen im vorderen Flügelbereich eine verschmälerte Schallschwinge haben, machen sie beim Fliegen ein pfeifendes Fluggeräusch. Ausnahmsweise ist dies mal ein Vogel, der in seinem Bestand nicht bedroht ist; Es gibt reichlich, von Nordeuropa bis Asien und Nordamerika. Das Nordlicht hält sich im Winterhalbjahr entsprechend gern in Nord- und Ostsee auf. Und das auch gern richtig auf dem Wasser. Dort treiben die Trauerenten frohgemut in großen Trupps herum, und dort mausern sie sich auch. Einmal im Jahr wird gebrütet. 6 bis 9 Eier etwa einen Monat lang, und sobald sie geschlüpft sind, folgen die Entchen ihrer Mutter ins Wasser. Mit 45 bis 50 Tagen erst werden die Jungenten flügge und leben fortan ihr eigenes Leben. Als Zugvögel sind sie unterwegs zwischen den Britischen Inseln, Island, Skandinavien, im nördlichen Russland und im Westen von Sibirien. Und eben auch in Estland, wo sie bei Leana & Hartwig genau die Musik findet, die sie mag. Auch die Trauerente verschlägt es dann im Winter wie viele Menschen aus den nordeuropäischen Ländern in gemäßigte Gegenden wie unter anderem Spanien oder Marokko.

Der Dunkle Wasserläufer 

Lang wie ein Schullineal, einen halben Meter Flügelspannweite und das alles bei einem Maximalgewicht von einem Stück Butter. So müsst ihr euch den Dunklen Wasserläufer vorstellen. Der Name ist Programm, im Federgeschäft hat das Männchen sich als Sommergarderobe für ein rußschwarzes Prachtkleid entschieden, im Winter für Graubraun mit weißen Flecken. Die Beine sind sommers wie winters dunkelrot. Auf diesen also dunkelroten Stelzen watet er oft im Wasser, und wenn er nicht mehr stehen kann, wird geschwommen. Das seichte Wasser hat ja futtertechnisch einiges zu bieten: kleine Fische, Krebse, Wasserinsekten; und im Watt schlickert er neben Krebsgetier auch Ringelwürmer und Mollusken. Der Dunkle Wasserläufermann hat es nicht ganz leicht mit seiner Liebsten, aber das erträgt er mit Würde. Sie überlässt ihm nämlich das auf dem arktischen Boden befindliche Nest mit den 4 Eiern und sagt, mach du mal, und dann frönt sie ausgelassen der Vielmännerei. Diese schönen Vögel leben an Sandbänken und in Flachwasserzonen, im Landesinneren und an der Küste. Gebrütet wird im hohen Norden, und wenn das Reisefieber ausbricht, verschlägt es die Dunklen Wasserläufer bis nach Afrika. Damit sind sie Langstreckenzieher, die man dann besonders oft in der Sahelzone, bis zum Sudan und im ostafrikanischen Hochland findet. Einige bleiben aber auch im Mediterranen Raum hängen, andere bevorzugen Asien. Auf dem Weg nach Afrika kommen diese Vögel auch durch Spanien. Dort haben sie immer schon den Flamenco besonders gemocht, und deshalb sind sie auch so große Fans von Laura La Risa! Es gibt unter den Dunklen Wasserläufern übrigens einige ganz hervorragende Flamencotänzer. Aber so schön das alles ist – auch diese Schnepfenvögel trifft der Klimawandel besonders hart. Britische Forscher sagen voraus, dass zum Ende unseres Jahrhunderts kaum noch Lebensraum für sie interessant ist. Möglicherweise kommen dann Gebiete im äußersten Zipfel von Russland als neue Grundstücke infrage. 

Alle Illustrationen auf dieser Seite stammen wie auch in den Vorjahren vom Bremer Illustrator Reno Lottmann.

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